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Philipp Ruch: Wenn nicht wir, wer dann? Ein politisches Manifest - Ludwig Verlag, 207 Seiten
Willkommen in der "Trockenphase der Weltgeschichte": Philipp Ruch, Aktivist des Zentrums für Politische Schönheit, beschreibt in seinem Manifest "Wenn nicht wir, wer dann?" den gesellschaftlichen Mangel an Sinn für Größe, Kraft und Schönheit (13). Mit dem Scheitern der Großideologien des 20. Jahrhunderts sei die Erwartung verloren gegangen, Ideen könnten die Menscheit beflügeln. Die Anspannung, mit der Menschen dereinst voller Vision ihrer Zukunft entgegenfieberten, fließe heute in die Einrichtung von Wohnzimmern (25).
Die antike Vorstellung, ein Staat bestehe aus Menschen, die einander denkend weiterbringen, ist uns fremd geworden (61), auch Hegels Weltgeist ist uns nicht mehr geläufig (28). Stattdessen wurde - ebenfalls verheerend für Kreativität jeder Art - die Welt vor allem wissenschaftlich verstehbar und dadurch befreit von Neugierde und Staunen (65). Die fatale Überzeugung Siegmund Freuds von der Schwäche des Menschen führte zudem in die Falle (96), in der wir zwischen Entzauberung und Entmutigung (36) daran zweifeln, dass wir uns einander brauchen (59): Wir leben in einer Zeit, der der Glaube an das eigene Tun abhanden gekommen ist (20).
Das möge sich ändern: Also raus aus den Pantoffeln und rein in die Welt! Wider die geistige Kapitulation (26) trat Philipp Ruch an, mit politischen Aktionen die Welt zu verändern. Doch leider hält er dies nicht in dieser Schrift. Er betreibt Kulturkritik ohne Ende und Ziel: Er seziert philosophische Fragmente, jammert und wütet, doch gibt keine Hinweise, wie das Jammertal zu verlassen sei.
"Es sank der Meeresspiegel des Staunens" (65). - Wie nun aber die Leute ("wenn nicht wir!") zu Aktivismus zu beflügeln sind, thematisiert er nicht einmal am Begriff der Schönheit selbst ("Schönheit ist das Erdbeben unserer Existenz" (105)). Das Erhabene beispielsweise ist ihm keinen Hinweis wert, die Kraft des Schönen kritisch zu spiegeln. Während Schönheit beim "Zentrum für Politische Schönheit" als wunderbar dialektisches Konnotat genutzt wird, ist der Versuch Ruchs, die Schönheit als politisches Traktat zu manifestieren, auf sehr ärgerliche Weise gescheitert.
Die Weisheiten, die das Buch verkündet, finden sich auch bei meiner Tante im Tagesabrisskalender: Hoffnungen sind ein gewaltiger Rohstoff (20), wir haben die Phantasie, um nicht an der Wirklichkeit zugrunde zu gehen (165), wir müssen verwirklichen, was wir sein können (190), eines unseren innersten Bedürfnisse ist es, menschlich zu sein (194), wir sollen uns wertvoller machen (205).
Schade auch: Ruch berichtet nicht aus dem Innenleben des "Zentrums". Srdja Popovic tat Vergleichbares in mitreißender Leidenschaft in "Protest! - Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt" - siehe unten - betreffs der Aushebelung ganzer Staaten! Ruch dagegen scheint ehr dem "Ende der Geschichte" (Beaudrillard - siehe unten) verpflichtet. Da er keine Vision artikuliert, ist das Buch kaum der Gattung Manifest zuzuordnen. Die Leute, die es in Hoffnung auf Kraft und Läuterung lesen, werden ehr in Selbstmordlaune entlassen als zu irgendwas ermuntert.
"Die Welt mit Außergewöhnlichkeit und Schönheit bereichern" (206). - Lieber Philipp, das ist in der Tat ein schöner Slogan. Den dann aber bitte als Titel nicht wieder mit Fragezeichen, sondern mit Ausrufezeichen versehen!
Denn, liebe Leute: setzt euch halt zusammen, denkt nach über die Gesellschaft und was euch an ihr begeistert oder stört, schmiedet Pläne und macht Aktionen, die das Soziale und Politische beeinflussen. Etwas machen, was Spaß macht, schön ist und was bewirkt. - Kann doch nicht so schwer sein!