Die Fotografin Heidi Specker zeigt in der Berlinischen Galerie derzeit in einer großen Ausstellung auch ihr wunderbares Projekt IM GARTEN, das ich 2006 für European Photography rezensierte (Nr. 79/80):
Bäume werden alt, doch Beton hält ewig. Beton freilich ist grobschlächtig, wohingegen Bäume sprießen und blühn. Mit Heidi Specker sind wir `Im Garten`. In einem Garten, der keine Horizonte kennt.
Die Stämme und Sträucher ragen stramm an Fassaden. Die Biotope sind idylleresistent, kein Boden gibt Halt, denn Specker bleibt konsequent in Augenhöhe.
Sofern Gärten Abgrenzungen haben, sind Beobachter ohnehin schnell an der Wand. Allemal im Garten Urban. Da gilt Wunde vor Wand: Die grazilen Gewächse trotzen voller Verletzlichkeit, wohingegen
der Stein im Off felsenfeste Macht vorgibt - Natur ist an die Wand gestellt.
Doch geht es nicht um Zivilisationsopfer, Specker zielt auf Essenzielles. Bereits das Eröffnungsbild des Bandes, ein nachts spärlich beleuchteter und hintergrundloser Strauch, der Portrait zu
stehen scheint, verweist auf die Schöpfung der Materie durch Licht und Energie: Specker analysiert einerseits die photographischen Techniken der Bilderzeugung, andererseits die
Materialbeschaffenheit - und deren Rezeption. Sie nähert sich den unscheinbaren Realitäten mit allen Sinnen. Sie ertastet die Formen und begibt sich unter die Baumameisen.
Wo ist die Welt, wenn die Objekte fraktal sind? Indem Specker ganz nah dran ist, verschmelzen die Differenzen der Objekte. Ob Musterungen von Rinde und Astaugen oder Risse im Beton, Specker
betritt die Mikroebene und trifft auf Basisstrukturen. Derart im Urstofflichen naturalisiert sie den Beton und versöhnt seine Künstlichkeit mit der Natur: Alles ist eins.
Sie umgeht Wertungen und die Frage nach Henne oder Ei, indem sie in der Dialektik selbst agiert. Profanüberlegungen sind dennoch spannend: was hält länger, Astgenetik oder Beton, was bedeutet
Stadtleben, was Natur. Doch Specker überholt, sie zieht den Betrachter auf codierte Bahnen, sie fahndet, den Stadtgarten abstrahierend, nach den Mustern - der Weltformel oder der Seele - des
Materiellen.
Ob poröse Steinornamente, monolithische Klötze in perfekter Strukturneutralität, ob im Wind wehende Götterbäume, eine Birke als Spießigkeitsbeleg, oder Granitgebirge mit außerirdisch anmutender
Helix, die gezähmte Natur entspricht der sterilen Welt einer auf Sachlichkeit hin orientierten Wahrnehmung. In den Doppelstrukturen der vegetativ angereicherten Zwischenräume legt Specker in
leidenschaftlicher Genauigkeit allgemeine Formeln frei.
Die Mustercodes bringt sie experimentell und narrativ zum Mutieren. Sie fordert die gefundene Ordnung durch Verfremdung heraus. Hatte sie zwischen Konstruktion und Dekonstruktion in früheren
Arbeiten Muster und Fassaden techno-digital erhitzt, so geht sie Im Garten behutsam vor. Da mal einen Trieb geknickt, dort eine Fuge verleimt. Die Lichtverhältnisse sind bisweilen radikal absurd.
Dann die Farben, sie kommen mit Wucht: Die flächendeckenden Baumummalungen in saftig Satt schlucken den Hintergrund durch eine schizophren unwirkliche Tiefe, die blendet. Die Baumstamm-Objekte
sind isoliert, sie sind freigelegt wie fürs Skalpell und der ehedem so ´muster´haften Kommunikation mit einem Dahinter enthoben: Die Sterilität durch Haltlosigkeit ist die letzte Bilanz - eine
Art Strafe - der Materie. Heidi Specker folgt ihr in Richtung Ursuppe.
Es sind die Muster, die in poetischer und inspirierender Weise Halt geben: Rinde in Korrespondenz mit Beton. Obwohl ihr Verhältnis wie Wasser zu Öl ist, zeigen sich ontologische Logiken, die
Specker durch die blinden Hintergründe parodistisch umso deutlicher macht. Sie beobachtet - gewissermaßen durch den Rückspiegel - teilhaft und detailliert, um das Widerspenstige zu zähmen.
Specker zelebriert eine Andacht des Urbanen. ´Im Garten´ erschien bei Steidl im gebührend faserintensiven Leinen und wurde 2005 mit dem Deutschen Fotobuchpreis ausgezeichnet.
Heidi Specker - Im Garten - 2005, Steidl Verlag, 94 Seiten, 46 Bilder
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