Bloghopping

 

Erschienen in European Photography Ausgabe 84 - 2008/2009
Englische Version hier.

 

Von privaten Tagebüchern bis hin zum Bürgerjournalismus, längst bieten Blogs den traditionellen Medien Paroli. Die ursprünglich Web-Logs genannten Sammlungen logbuchartiger Protokolle schufen die neue Internetwirklichkeit der Blogosphäre, in der auch Fotografen mit einfachen Handgriffen die Welt begeistern können.

 

Fotoblogs entstanden erst Anfang dieses Jahrzehnts. Mit dem Projekt SnapCity.com hat Emilie Valentine (Emilie.com) aus San Fransisco Pionierarbeit geleistet, noch ehe man wusste, was Blogs sind. Auch Rion Nakayas (Rion.nu) fotografische Tagebuchsammlung im Internet war wegweisend. Alec Soth gelang eines der weltweit beliebtesten Fotoblogs (AlecSothblog.wordpress.com USA), Hugh Crawford führt das 1979 begonnene Polaroidfoto-Archiv PhotooftheDay.HughCrawford.com (USA) in Blogform fort, JmColberg.com/weblog (USA) kommentiert das fotografische Weltgeschehen seit 2002, David Glenn Rinehart (Stare.com GB) koppelte das Archiv seiner heiterer Schaffenskraft an ein Blog, Grapf.de ist ein Vorreiter der deutschen Fotoblogszene, und Issamichuzi.blogspot.com war 2005 das erste Fotoblog in Tansania. Dank simpler Content-Management-Systeme lässt sich die private Kreativität ohne Umschweife ins virtuell Öffentlichen transferieren: Individualisten treten mit Universalnamen wie Photo-Passion.eu (F) oder AktuelleKamera.de bisweilen im Selbstbewusstsein von Magazinen auf, sie stehen ein für Städte (NewYorkphotoblog.com/blog), für Länder (MexicanPictures.com, Thaiphotoblogs.com, ja für die ganze Welt (Worldphotoblog.com D). Den wohl besten Überblick über weltweite Fotoblogs liefert Coolphotoblogs.com (CN), Photoblogs.org (D) macht Hitparade, ffffound.com (JP) ist eine kollektive Spielwiese diverser Kunst-Genres, während Photorama.it und Photoblog-Community.com (CA) mit nutzergenerierten Blog-Charts locken.

 

Die individuellen Sammlungen lassen teilhaben an privaten Blickwinkeln. So führt uns DurhamTownship.com durch Nachbarschaften in Pennsylvania, SatansLaundromat.com berichtet vom wilden New York, LifegoesoninTehran.com bringt uns das Leben in Teheran nahe, Zueck.wordpress.com (D) berichtet von Erfahrungen in Pakistan, und Topleftpixel.com (CA) blogt ´The daily dose of Imagery´. Spy (Spy.org.es) und Marc Jenkins (xMarkJenkinsx.com USA) dokumentieren Straßenkunst, Streetsy.com (USA) und Ekosystem.org (D) vernetzen Street-Art-Szenen, Londonshopfronts.tumblr.com sammelt bisweilen skurril anmutende Ladenfassaden, und bei erotischer Fotokunst – aFuckaDay.blogspot.com, Thachipsta.blogspot.com, BizarreLover.wordpress.com (alle USA) - wird bisweilen am Eingang nach dem Alter gefragt.  Iheartphotograph.blogspot.com (USA) verdient einen Rekord in Tagging und Downscroll, DeceptiveMedia.co.uk betreibt sowohl Blog als auch Fotoblog, Terraspirit.com (USA) operiert mit minimalistischer Navigation, Fotoblog.Viktor-Dite.de ist ein technischer Ratgeber, J-Roumagnac.net (CA) glänzt mit optimierten Suchoptionen, und IndiaDailyPhoto.com und Iso200.de bloggen im Team. Marta.com grüßt aus Spanien, Pooyan.aminus3.com aus dem Iran, und Mute.Rigent.com aus Kanada.

 

Die Bildpräsentation der Fotoblogtools ist stringent einheitlich: Meist öffnet sich ein Bild so groß, als wolle es den Bildschirm sprengen. Das jeweils erste Bild icht nicht das beste, sondern das neueste. Um auf weitere Bilder zu gelangen, hat man die in der Regel nach links führende Weiter-Taste zu finden. Fotobloganbieter scheinen sich darin einig, dass sich die Geschichte links befindet. Das erstaunt, da es im Internet handelsüblich rechts weitergeht. Rechts ist die Hoffung auf das, was du suchst. Blogs aber sind keine Suchmaschinen, sondern Überraschungspakete. Wie viele Bilder werden folgen? Werde ich in die Sackgasse der Unendlichkeit gejagt?! Und wo im Archiv soll ich ansetzen? 2006? Im Juni? Tags geben nur bedingt strukturellen Beistand. Das Navigieren verliert sich in Beliebigkeit. Nur kontrollwütige Innenminister, Historiker oder in den Künstler Verliebte dürften sich die Mühe machen, all das Gehortete zu durchforsten.

Mal Ausmisten und die besten Einträge hervorheben?! Doch halt: Besserwisser haben nicht in meinem Tagebuch herumzumeckern! Blogs dienen nicht der öffentlichen Orientierung, sondern sind private Spielwiesen. Das heute Vermeldete rückt, um Platz für Neues frei zu geben, ins Archiv. Wie alles, was täglich geschieht. Das Aktuelle jedoch ist eine Einstiegsdroge: Sobald Besucher mehrmals kommen, erleben sie das chronologisch Gebotene als Zeit-Genossen. Hat der Blogger den Heimvorteil, selbst von Anfang an dabei gewesen zu sein, so führt er die Treuen Schritt um Schritt tiefer in seine Welt. Jetzt ist die Startseite nicht das Ende einer Geschichte, sondern der Anfang einer Freundschaft.

Das Aktuelle ist eine Einstiegsdroge für Besucher: Sobald sie wieder kommen, werden sie in der authentischen Chronologie zum Zeit-Genossen. Hat der Blogger den Heimvorteil, selbst von Anfang an dabei gewesen zu sein, so garantiert die Gefolgschaft anderen die Erlösung vom Linksdrall.  

Derart auf Aktuelles konzentriert, folgen individuelle Redaktionsblogs der täglichen Praxis der Publizistik. Die Blogzines genannten Blog-Magazine sind gegenüber Zeitungen und anderen Medien um die Note des Persönlichen reicher, sie können jederzeit veröffentlichen und sind um Hierarchien befreit: PhotoBookGuide.com (UK) rezensiert internationale Bücher über Fotografie, DariusHimes.com (USA) navigiert durch das internationale Verlagswesen, und blog.SonicSites.de bespricht europäische und amerikanische Fotografie. Photoappar.at vernetzt die deutsche Fotoblogszene, PoliticsTheoryPhotography.blogspot.com (USA) ist eine Fundgrube der Kritik der visuellen Künste, und Russos.livejournal.com gewann mit urbanen russischen Landschaften den Best of Blogs-Award 2008.

Auch die traditionellen Medien begeistern sich für das subversiv Individuelle: Da darf man menscheln und von Kleinigkeiten berichten, die auf den Hauptseiten tabu wären. Magnumphotos.com (USA) kommentiert die Erfolge des Vertriebs, Chromasia.com (USA) macht das Blog zum Shop, und The British Journal of Photography (bjp-online.com) blogt weit über das Magazin hinaus. Wenn aber bespielsweise das Blogzine Lensculture.com (USA) inspiriert von „Photography and Shared Territories“ berichtet, doch an keiner Stelle verrät, wie der Herausgeber heißt und wo er lebt und arbeitet, dann verliert das Virtuelle auf eigentümliche Weise seinen Anschluss an die Wirklichkeit: Blogs zeichnen sich durch einen Mangel an Impressum und Profil aus. Bei der Kontaktsuche poppen meist grässliche Formulare auf, Telefonnummern sind so gut wie ausgestorben, und Kommentare kann man in der Regel erst hinterlassen, wenn man sich registriert.

 

Andererseits scheint im Versteckspiel der große Reiz zu liegen: Private Blogs dienen zunächst der Selbstreflexion. Interessanterweise gibt es vom Künstler JeffreyLadd.com (USA) keinen Hinweis auf seinen Buchbesprechungs-Blog 5b4.blogspot.com, einen der umfassendsten dieser Art im Netz. Auch Earth-Photography.com/Blog (UK) läßt sich nicht von der Hauptseite aus finden. Die Strategien von Aufmerksamkeit und Öffentlichkeitsarbeit sind sowohl subversiv als auch komplex: Blogs werden als virale Empfehlungen publik, Feeds, Widgets, Permalinks und RSS vernetzen die Blogospäre intern, der Aktivismus in Communities wie Facebook.com oder Delicious.com garantiert externe Kontakte, und das ´Microblogging´ genannte Kommunizieren in Echtzeitforen erweitert den Freundeskreis: In Tools wie Twitter.com werden die Fotografien, Kolumnen und Songs, ja alles, was verlinkbar ist, nicht in einem Blog geparkt, sondern direkt in die Welt geschossen. Kurz ist die Devise, man serviert Häppchen. In 140 Zeichen schreiben sich die Meldungen in einen weltweiten Ticker, der sich auf den persönlichen Anspruch hin reduzieren läßt. Das Blogzine Flakphoto.com (UK), das außergewöhnliche internetaffine Fotoprojekte vorstellt, twittert, Barcelonaphotoblog.blogspot.com ist dabei, und unter den weltweit erst sechs Millionen Usern dürften sich bereits viele Fotografen zum Teil unter Pseudonym zum Austausch treffen.

 

Microblogging ist wie eine Parodie auf Blogs, denn alle Meldungen jagen rasant ins Jenseits des Tickers. Die neuen Wunder im Web 2.0 beschleunigten alles und bringen noch die stillsten Bilder zum Kreischen. Wenn aber Kommunikation inflationär als Waffe einer nur punktuellen Aufmerksamkeit zum Einsatz kommt, wenn die Kommentare in Fotoblogs meist nur lieb gemeinte Nichtigkeiten sind, halten sich Aufwand und inspirierender Nutzen womöglich nicht die Waage: Das Fotoblog Weeklyshot.org (USA) wurde eingestellt, ebenso das PhotoblogsMagazine.org (USA) und DigitalAfrica.blogspot.com. Auch Alec Soth´s legendärer Blog verstummte (AlecSothblog.wordpress.com). Er sagt „I needed to get out of the loop“. Bloggen kostet Zeit, es vermag in exhibitionistischer Lust suchtgefährdend unter Druck setzen und zwischen Aktualitätsstau und Kompostierung ins Vakuum der Beliebigkeit führen. Texte und Bilder werden dem entropischen Schredder der Gleichgültigkeit überlassen. Wider den Wahn des Aktuellen sollten die Tool-Strukturen auf kommunikative Nachhaltigkeit, auf Essentielles hin optimiert werden. Nach einem Fotobloghopping ist es eine Wohltat, auf klassische Webseiten zu geraten: Dort sind Portfolios pointiert gesetzt und die Signatur des Künstlers ist erspürbar. Erfolgreiche Fotografen nehmen am Blogging-Sport ohnehin nur selten teil.

 

Matthias Groll